Wenn wir doch einmal ehrlich zu uns selbst: wie viele Momente und Erlebnisse haben wir verpasst, weil wir Angst hatten? Nicht, weil wir es körperlich nicht geschafft hätten oder es finanziell nicht möglich war – nein, schlichtweg weil unsere Angst uns im Weg gestanden ist? Besonders im Bezug auf reisen fällt es mir oft auf: eine versteckte Ausrede für den eigentlichen Grund es nicht zu wagen findet sich immer, denn die Angst ist tückisch und gemein – und steht uns manchmal lautstark im Weg.
Die Sache mit dem Mut
Ich nehme mich davon nicht aus. Auf Social Media und meinem Reiseblog sieht es manchmal so aus, als wäre ich über und über mit Mut gesegnet. Aber das stimmt nicht. Natürlich bin ich selbstsicherer und selbstbewusst und hatte schon immer eine große Portion Mut – doch eben nur für gewählte Dinge. Mit 15 wollte ich für ein Jahr nach Neuseeland. Also kämpfte ich so lange, bis dieser Traum wahr wurde und ich mich im Januar 2006 alleine in den Flieger ans andere Ende der Welt setzte. Mit 16 Jahren fand ich das so gar nicht mutig – ich wollte das doch unbedingt.
Ein paar Jahre später konnte ich mit Abstand zur Situation feststellen, dass es dazu schon eine Menge Mut gebraucht hat: so weit weg von der Familie zu sein, in einer „fremden“ Familie für ein Jahr zu leben und sich von null auf 100 in einer neuen Sprache zurecht zu finden. Doch dafür hielt mich meine Angst in ganz anderen Dingen zurück: keine Höhlenwanderung in Whangarei, kein Skydive in Queenstown und keine Wanderung auf den Berg im Fiordland. „Ich kann das nicht“, schrie ich innerlich, nur um mich bis heute zu fragen, wie das Erlebnis denn wohl gewesen wäre.
Angst ist etwas sehr Subjektives. Jeder empfindet sie in anderen Situationen und Momenten. Demnach ist es genauso subjektiv zu sagen, dass viele aus Angst keine große Backpacking-Reise oder Reise um die Welt antreten. Denn das stimmt schlichtweg nicht. Für manche ist es körperlich, finanziell, kulturell oder familiär unmöglich. Doch richte ich mich heute an all diejenigen, die ihre Reiseträume aufgrund der kleinen inneren Stimme der Angst aufschieben, nicht aufgrund von äußeren Umständen. Denn ich habe sie auch – diese Angst.
Als ich auf meiner Weltreise das erste Mal wirklich alleine auf reisen war und in den Flieger stieg von der Ostküste Australiens, nach Perth an die Westküste – da ging mir ganz schön der Puls. Ich war komplett alleine auf mich gestellt und flog ins „Ungewisse“. Wenn ich Anderen von dieser Angst erzähle, sagen viele in meinem Umkreis: „Du? Du bist doch schon so viel gereist, wieso hast du denn noch Angst?“. Aus genau dem selben Grund wie ihr.
Es macht einem Angst in eine unbekannte Umgebung zu kommen, in der man sich nicht zu orientieren weiß. Sich am Flughafen zurecht zu finden, nicht beklaut zu werden und hoffentlich im richtigen Bus auf dem Weg ins gebuchte Hostel zu sitzen. In einen Raum zu kommen, in dem einen niemand kennt, sich bereits Grüppchen gefunden haben und man sich öffnen muss, um neue Leute kennenzulernen.
Vor diesen Momenten habe ich auch heute noch Respekt. Ich bin sehr offen und kommunikativ und schnell legt sich diese Angst, doch jedes Mal, wenn ich in Asien in ein neues Land geflogen bin, da war sie wieder da. Unaufhörlich kroch sie mir den Rücken hoch. Und wisst ihr was? Es wäre auch irgendwie komisch, wenn man in jeder Situation stark und mutig wäre.
2017 war für mich DAS Jahr und es war endlich so weit. Während andere schon mit 16 Jahren den Mut hatten aus einem Flugzeug zu springen, oder mit 20 Jahren den Roller im fremden Land zu fahren, oder das lokale Essen von der Straße zu testen, so war für mich erst mit 27 Jahren, nämlich vor zwei Jahren, erst der Punkt erreicht, an dem ich viele meiner Ängste bezwang. Auch Mut braucht seine Zeit, persönliche Entwicklung braucht seine Zeit – und für jeden ist das eben eine andere Zeit.
Nach elf Jahren des Wünschens, doch auch einmal so viel Mut zu haben, habe ich es gewagt und bin aus dem Flugzeug gesprungen, aus einer Höhe von 12.000 ft. Ich bin ein Flugzeug für eine halbe Stunde geflogen, mit Mama auf dem Rücksitz. Ich habe eine Wanderung durch die Berge gemacht für drei Tage, nur mit dem nötigsten.
Ich bin ins offene Meer in Westaustralien gesprungen, um mit einem Walhai zu schwimmen – und habe nicht zwei Mal darüber nachgedacht. Es gibt noch so viel mehr Dinge, die ich hier aufzählen könnte. Doch eins haben sie alle gemein: ich habe meine Angst überwunden, Mut aufgebracht und wurde so hoch belohnt. All diese Erlebnisse und viele mehr zählen zu den Highlights meines großen Trips und ich kann euch sagen: die eigene Angst zu überwinden, das lohnt sich allemal. Ich kann es euch sagen, denn ich war genau an dem selben Punkt.
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